Wo ist mein schönster Ort der Welt?
Wo ist der schönste Ort der Welt? Diese Frage ist sicher so individuell und vielfältig wie die Menschheit. Für den Einen mag es eine pulsierende Metropole wie Las Vegas sein, für den Anderen die einsame Bucht einer unbewohnten Insel und für den Dritten der eigene Garten. Wo ist mein schönster Ort der Welt?

In meinen Gedanken lasse ich die Reisen meines Lebens Revue passieren. Welche davon hat mich nachhaltig geprägt, was ist mir bis heute in Erinnerung geblieben ohne das ich meine Fotoalben bemühen muss?
Was veranlasst mich, darüber zu schreiben? Warum frage ich mich das? Conntrip hat zur Blogparade zum Thema “Schönster Ort der Welt” aufgerufen und das Thema sprach sofort mich an. Mit Begeisterung lese ich die Artikel der anderen Blogger. Seitdem mache ich mir Gedanken dazu, schreibe, lösche, füge Foto’s ein, schreibe, lösche, suche, schreibe, lösche, suche und dann endlich kommt mir die Erkenntnis und die Buchstaben fließen aus der virtuellen Feder.

Klassenfahrt
Spontan fällt mir meine erste Klassenfahrt in den Knüllwald ein. Damals war ich in der fünften oder sechsten Klasse, muss also ca. 11 Jahre alt gewesen sein und war jahrelang der festen Überzeugung, dass der Bus morgens gestartet ist und wir abends dort ankamen. Gefühlt waren wir um die halbe Welt gefahren. Erst Jahre später kam die Ernüchterung, als ich selbst den Führerschein hatte und diese Strecke abfuhr: wir waren nur knapp 20 km vom Heimatort entfernt gewesen. War das der Schönste Ort der Welt?
Es folgten noch andere Klassenfahrten: nach Breisach, nach Wien. Leider sind mir nur Fragmente davon in Erinnerung geblieben. Landschaftlich war es schön, aber es löst keine Euphorie bei mir aus. Ebenso wenig wie die Urlaubsreisen mit den Eltern nach Österreich oder Italien. Sie waren schön, keine Frage. Aber kann das dann der Schönste Ort der Welt gewesen sein?
Erste Flugreise
Meine allererste Flugreise ging 1990 in die Türkei. Mit einer Kommilitonin bin ich nach bestandenem Examen nach Antalya geflogen und habe mich vom Lernstress erholt. Kristallklares, blaues Wasser in Badewannentemperatur, nette Gässchen mit kleinen Läden und Abenteuer mit den kleinen Stadtbussen – das ist meine Erinnerung daran. War das der Schönste Ort der Welt?

Neuseeland und Indonesien
Nur sechs Monate später flog ich nach Neuseeland und Indonesien. Neun Wochen am Ende der Welt per Rucksack, nur mit einem Ticket ausgestattet, ohne zu wissen, wo ich die Nächte verbringen werde, aber mit der Überzeugung, dass sich letztlich alles fügen wird. War auch so. Weiterreise nach Indonesien für weitere sieben Wochen. Java, Bali, Lombok und Gili Nangu. Kontrastprogramm. Von einem europäisch geprägten Land in eines, wo teilweise bittere Armut herrscht, aber die Menschen offen, freundlich und glücklich sind. Diese Reise hat mich bis heute nachhaltig geprägt. Noch immer sind mir Situationen präsent: wie ich in Paihia/NZ auf einer Anhöhe saß und einen Ausblick über das strahlend-blaue Meer und die untergehende Sonne hatte… Oder in Gili Nangu, wo mir beim Schnorcheln ein großer Rochen entgegen kam und ich blitzschnell ans Ufer flüchtete. Und und und…War das der Schönste Ort der Welt? Es kam dem schon sehr nah.
Was ist der Schönste Ort der Welt: die Malediven, Budapest, Erfurt, Tasmanien, Berlin, Rom, Uruguay, Grönland?
Welcher Ort ist mir nicht nur im Gedächtnis geblieben, sondern löst ein Kribbeln oder Gänsehautfeeling, eine Beschleunigung des Herzschlags, ein Glücksgefühl, ein “mir würde etwas fehlen, wenn ich ihn nicht nochmal sehen könnte” aus? Wo bin ich sprachlos und lasse den Mund vor Staunen offen stehen? Wie lange muss ich sparen, um an diesen Ort zu kommen oder muss ich das gar nicht?
Der schönste Ort der Welt
Letztlich gibt es einen Ort, der dies bei mir auslöst. So banal und doch so ergreifend, dass ich andächtig inne halte, schweige, staune. Ich will dort immer wieder hin. Ich habe ihn im Herzen, ich habe ihn vor der Haustür, ich finde ihn weltweit.

Der Wald!
Mein Schönster Ort der Welt!
Egal, ob das der Misch-, Kiefer- oder Laubwald in Deutschland ist, der Regenwald in Australien, die Mangrovenwälder in Indonesien, der argentinische Hartlaubwald oder ein Urwald. Ich kann mich im Grün verlieren. 1000 Nuancen von Grün, dass ist mir letztes Jahr in Tasmanien besonders aufgefallen. Nicht, weil unser Wald in Deutschland das nicht bieten würde, sondern weil ich im Urlaub meine Sinne anders fokussiert hatte.

Die Baumstämme ragen mal mehr, mal weniger in den Himmel. Erfurchtsvoll stehe ich vor den Eukalyptusbäumen, deren Kronen kaum sichtbar sind. Ich bewundere die Vielfalt der Natur, die die weißen-schwarzen Stämme der Birken und die gefächerten Stämme der Tannen, die mich immer an weiche Wellen erinnern, hervorgebracht hat.

Ich liebe es, wenn die Blätter im Wind rascheln und die Schatten auf dem Waldboden tanzen.

Exotisch oder einheimisch?
Manchmal ist der Geruch unbeschreiblich: der australische Regenwald war eine Mischung aus feuchtem Lehmboden, Karamell, Limonen, Ylang-Ylang, Eisen und Asche. Ich hatte einen Duft von Eukalyptus oder Teebaumöl erwartet. Es roch aber viel milder und vielfältiger.

Auch die Tiere, die man ausschließlich im Wald antrifft, faszinieren mich. In den Wäldern im Rhein-Main-Gebiet treffe ich auf scheue Rehe, prächtiges Dammwild, flinke Auerhähne, zwitschernde Vögel, Wildschweine mit ihren Jungen, Hirschkäfer oder auch mal auf eine Blindschleiche.

Die Wälder der Welt verkörpern für mich Ruhe, Frieden, Stressabbau, Minimalismus, Zufriedenheit und Glück. Hier muss ich niemandem etwas vormachen, keine Maske überstülpen. Wenn ich traurig bin, kann ich Kraft schöpfen. Bin ich unzufrieden, konzentriere ich mich auf das Wesentliche, kläre meine Gedanken, sortiere mein Kopfchaos. Ich renne, bis ich Stress abgebaut habe. Ich schweige und höre mich selbst. Ich schmecke den Regen, ich lasse mich durch die Sonne wärmen, ich fühle die Farben, ich höre Feen und Elfen und manchmal sogar das Gras wachsen.
Schon in der Jugend bin ich mit meinem Fahrrad immer an den Waldrand im Heimatort gefahren, habe mich dort auf die Bank gesetzt und vor mich hin geträumt. Gut, dass meine Mutter das nicht wusste. Sie hätte mir das niemals erlaubt. Als ich es ihr vor wenigen Jahren erzählte, fiel sie aus allen Wolken. Selbst im Nachhinein machte sie sich Sorgen und hatte Angst um mich. Ich hatte im Wald keine Angst. Der Wald vermittelt mir bis heute Geborgenheit.
Der Wald ist mein Freund – in guten wie in schlechten Zeiten. Er lässt mich nicht allein.

© DieReiseEule, 7/2016
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Ein toll geschriebener Post, dem ich ganz und gar zustimme! PS: Tolle Bilder 🙂
Vielen Dank. Das Lob gebe ich gerne an dich und deinen Bericht zurück.
Ich bin auch furchtbar gerne im Wald, aber ich habe gemerkt, dass ich nicht zu jedem Wald den selben Bezug habe. Ein Wald, der mir immer noch ganz nah ist und der mir sehr sehr fehlt, ist der Wiener Wald. Ich war so oft dort wandern, ich ging dorthin, wenn es mir schlecht ging, ich ging dorthin, wenn ich mich gut fühlte.
Wenn ich “Abschied vom Walde” lese, dann ist für mich damit der Wiener Wald gemeint:
O Täler weit, o Höhen,
O schöner grüner Wald.
Du meiner Lust und Wehen
Andächt’ger Aufenthalt.
“meiner Lust und Wehen andächtiger Aufenthalt” trifft vollkommen, was ich für den Wiener Wald empfinde 🙂
Das ist schön geschrieben. Danke. Es stimmt: es gibt auch für mich Lieblingswaldstücke.
Ich liebe den Wald und verstehe deine Gefühle sehr gut! Ich habe auch bei der Blogparade mitgemacht und mich für einen Bucht in Australien am Südpazifik entschieden. Ob Meer oder Wald – die Natur ist einfach wunderschön. Herzliche Grüße
Sabine
Australien ist super.
Sehr schön geschrieben. Habe lange überlegt, was es denn nun ist. Auf den Wald wäre ich gar nicht gekommen. Aber da stimme ich dir zu. Auch für mich ist der Wald ein wundervoller Ort 🙂
Vielen Dank für dein Feedback. Der Wald hat etwas beruhigendes für mich
Du schreibst mir aus der Seele, Läufe und Spaziergänge durch Wälder sind mir ebenfalls die Liebsten, all die Gerüche und Eindrücke, dieses Gefühl wenn ein Waldbewohner den Weg kreuzt … Nur in der Nacht kommt der Mensch in mir durch, da ist mir der Wald dann oft unheimlich
Da stimme ich dir zu: nachts kann der Wald schon etwas beängstigendes haben. Wahrscheinlich liegt es daran, dass uns die Geräusche nicht vertraut sind.
Ein Stück Waldboden kann so interessant sein, dass ich stundenlang damit verbringen könnte Nahaufnahmen zu machen. Vor allem, wenn wir Pilze suchen, fällt mir das immer wieder auf. Auf Baumstümpfen entdeckt man eine eigene Welt für sich. Wälder sind zauberhaft und geheimnisvoll – immer wieder aufs Neue. Grund genug für mich, schon jetzt verfügt zu haben, dass meine letzte Ruhestätte unter einem Baum im Wald sein soll. Hübsche Bilder habe ich in einem etwas älteren Beitrag eingefügt von Erdstern und Mooswinzling! Wenn du magst, dann klick hier:
https://aktiv60plus.wordpress.com/2015/10/29/im-reich-von-erdstern-🍄-lorchel-🍄-mooswinzling/
Schönen Abend wünsche ich dir und vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Liebe Grüße Sigrid
Ein schöner Beitrag, Sigrid. Danke für den Link. Und obwohl ich früher immer mit meinen Eltern im Wald Pilze sammeln war, kannte ich Erdsterne noch nicht.
Die sind auch nicht immer zu sehen. Die entdeckte ich zufällig als ich “einem dringenden Bedürfnis” nachging hinter einem großen Holzstapel. Da habe ich sie entdeckt. Ich kannte sie zwar, aber fotografiert habe ich sie noch nie. Grüßle ….
Wunderschön geschrieben meine Liebe! Und ich kann das so gut nachfühlen…Zwar habe ich noch immer nicht im Ansatz so viel von der Welt gesehen wie du, aber Wälder fühlen sich auch für mich immer wie Heimat an…
Mein Mann lachte immer, wenn ich unterwegs besondere Bäume fotografierte oder anhielt um die ein Exemplar genauer zu betrachten. Als Kind war ich fast täglich im Wald, meistens auf dem Pferderücken, manchmal mit Freunden, selten mit den Eltern, meistens allein. Ich hatte nie das Gefühl, dass man sich dort verirren könne, sogar in fremden Gefilden, irgendwie war der Weg immer klar und vertraut. Ein unbeschreibliches Gefühl, dass du wundervoll eingefangen hast!
Vielen Dank für deinen lieben Kommentar, Cathi.
Wälder können eine einzigartige Faszination ausbreiten.